Gastbeitrag
Sätze wie „Schule nervt“ oder „Ich hasse Schule“ sind schon lange keine Neuigkeit mehr. Doch vielleicht sollten wir die, die das sagen, mehr ernst nehmen. Denn eins ist klar: Schule ist vielfach nicht gut für die Gesundheit.
Meine Tage laufen gerade so ab: Ich stehe auf, gehe ins Bad, frühstücke, setze mich an meine Schulsachen, esse Mittag, setze mich wieder an meine Schulsachen und esse zu Abend, gucke zwei Folgen einer Serie und gehe ins Bett. Ich arbeite täglich ca. acht Stunden, plus ca. 2-3 Stunden am Wochenende. Das tue ich seit ich ungefähr 11 Jahre alt war. Mir fällt es nicht schwer zu lernen. Mir macht es eigentlich sogar Spaß. Aber die fehlende Freizeit und Fokussierung auf Leistung schaffen es, mir den Spaß zu nehmen.
Wenn ich fertig mit den Schulsachen bin, habe ich praktisch keine Zeit, einmal das zu tun, was ich wirklich will. Entweder ist es schon längst abends/nachts oder ich bin so erschöpft, dass ich mich einfach nur noch hinlegen kann. Und damit bin ich nicht alleine.
Eine Studie des LBS-Kinderbarometer zeigt: Jedes fünfte Kind hat außerhalb der Schule zu wenig Zeit, dass zu tun, was es will.
Außerdem zeigt die Studie, dass Schule bei Kindern Stressfaktor Nummer 1 ist. Jede oder jeder dritte Schüler oder Schülerin fühlt sich regelmäßig von Lehrern und Lehrerinnen, Unterricht oder Hausaufgaben gestresst. Eine Studie des Nachhilfeportals Studienkreis ergab, dass sich 72 Prozent der Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren mindestens einmal pro Woche wegen der Schule gestresst fühlen. Jede vierte Person sogar an mehr als drei Tagen. Bei vielen liegt eine permanente Belastung vor. Und das hat Auswirkungen auf die Gesundheit.
Viele Kinder und Jugendlichen leiden unter Symptomen, die typisch für ein Burn-Out sind. Sie haben Einschlafschwierigkeiten, Kopf- und Bauchschmerzen sowie dauerhafte Müdigkeit.
65% der Kinder mit hohen Stress berichten über somatoforme Belastungen, das heißt, ihr Körper zeigt physische Auswirkungen auf den Stress. Das können zum Beispiel Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Ohrenschmerzen oder Übelkeit sein.
Deutsche Jugendärzte und -ärztinnen warnen immer wieder vor dem Stress, der Jugendliche krank machen kann. Fast jede:r dritte Schüler oder Schülerin klagt laut einer Umfrage der Krankenkasse DAK aus dem Jahr 2013 über Kopfschmerzen, Schlafprobleme, Gereiztheit oder Niedergeschlagenheit. Außerdem gaben 40 Prozent der Schüler und Schülerinnen an, mehrfach in der Woche unter psychosomatischen Beschwerden zu leiden. UNICEF beobachtet bei deutschen Kindern eine „Veränderung des Krankheitsspektrums“ von körperlichen zu seelischen Beschwerden und von akuten zu chronischen Leiden.
Nicht nur die mangelnde Freizeit und die Menge an Aufgaben sind ein Problem, sondern auch ein extremer Leistungsdruck, der durch die Noten verstärkt wird. Zwar bieten die Zahlen einen einfachen Vergleich oder Überblick, wie das Kind sich im Unterricht schlägt, aber genau das ist das Problem. Noten geben die Leistung nicht objektiv wieder.
Zum Beispiel die Menge, wie man sich am Unterricht beteiligt oder sich meldet, kann bei einer Klasse von über fünfundzwanzig Personen auch irgendwann nur noch ein grobes Gefühl von dem Lehrer oder der Lehrerin sein. Und das ist noch nicht alles: Mag der Lehrer oder Lehrerin den Schüler oder die Schülerin? Sitzt der Schüler oder die Schülerin an einem blöden Ort in der Klasse, wo er oder sie einfach nicht gesehen wird?
Und selbst wenn der Lehrer oder Lehrerin eine ganz gut eingeschätzte Note gibt, ist das auch immer nur eine Zahl, die nur einen Bruchteil der Leistungen wieder gibt. Ist eine Person kreativ und schreibt die besten Aufsätze, aber hat eine miese Rechtschreibung, hat sie direkt eine schlechtere Note. Natürlich muss ihre schlechte Rechtschreibung berücksichtigt werden, aber wo erkennt man an einer einfachen Zahl, dass sie möglicherweise den besten Aufsatz der Klasse geschrieben hat? Aber eine Drei lässt sich gut mit einer Vier oder einer Zwei vergleichen. Von Eltern, Mitschülern oder Mitschülerinnen und Lehrern oder Lehrerinnen. Dabei lassen sich die Leistungen nicht Ansatzweise miteinander vergleichen. Eine Note zeigt nur, wie gut man in den Erwartungshorizont passt. Nicht, wie man sich verbessert, wie sehr man sich anstrengt oder welche Teile des Lernstoffes man richtig gut kann. Außerdem werden unverschuldete Einschränkungen und individuelle Voraussetzungen nicht mit einbezogen.
Kleines Beispiel dazu: Ich habe eine Krankheit an den Händen, welche meine Gelenke und Sehnen beeinflusst. Ebenso habe ich durch Operationen an der Hand ein vernarbtes Handgelenk, welches meine Bewegungsfreiheit an einer Seite einschränkt. Wenige Monate nach der Amputation eines Fingers habe ich im Sportunterricht beim Handball mitgespielt. Ich wurde aber genauso bewertet wie alle anderen, mit vollständig funktionierenden Händen. Auf meinem Zeugnis steht letztendlich aber nur diese schlechte Note, die für Außenstehende auch bedeuten könnte, dass ich nicht beim Unterricht mitgemacht habe, keinen Ehrgeiz gezeigt habe oder mich mehrfach unsportlich verhalten habe.
Die schlechte Note hat letztendlich mir im Nachhinein die Lust, die ich zuvor am Handball entwickelt hatte, genommen.
Ich war einige Zeit auf einer Schule ohne Noten. Und ich kann aus meiner Erfahrung sagen: Das Lernen ist ein ganz anderes. Ich habe gelernt, um das Thema zu verstehen und nicht, um eine bestimmte Noten zu erreichen. Ich habe mich schon auf der neuen Schule (mit Noten) ertappt, zu überlegen, wie oft ich mich noch in dieser Stunde melden muss, um eine bestimmte Note zu bekommen. Im Vergleich zur alten Schule melde ich mich weniger. Nur dann, wenn meine Antwort auch „sehr gut“ ist. Ich traue mich nicht mehr Fragen zu stellen, wenn ich etwas nicht verstanden haben, sondern suche die Antwort zu Hause im Internet. Ich habe das Gefühl, dass alles, was ich sage, bewertet wird.
Noten beiseite. Reden wir über die körperliche Gesundheit.
Wenn man krank wird, muss man sich erholen. Aber das ist schwer. Gerade in Klausurphasen. Zuhause bleiben? Das sollte man nicht. Das wird ständig gesagt. Man würde doch zu viel Stoff verpassen. Und selbst wenn man zu Hause bleibt. Der Stoff muss 1:1 nachgeholt werden. Ich sitze am nächsten Tag also nicht acht Stunden an meinen Aufgaben, sondern (theoretisch) sechzehn Stunden. Meiner Erfahrung nach, kann ich mich nach einer gewissen Zeit nicht mehr konzentrieren und den Stoff 1:1 nachzuholen macht so viel Sinn, wie es überhaupt erst nicht zu versuchen.
Zum Thema Fehlstunden habe ich noch eine kurze Geschichte. Meine Klassenkameradin/Sitznachbarin ist positiv auf Corona getestet worden und ich war ganz klar eine Kontaktperson, da ich z.B. auch die Pausen mit ihr verbracht habe oder mit ihr in der Schule zu Mittag gegessen habe. Wegen Schwierigkeiten im Gesundheitsamt ist die Info aber noch nicht offiziell zur Schule gekommen. Wegen Symptomen, die ich gezeigt habe, sollte ich mich auf Ratschlag des Gesundheitsamtes beim Hausarzt testen lassen. Aber am selben Tag meines anstehenden Coronatests hätten wir eine Klausur geschrieben. Wir riefen also bei der Schule an, welche uns mitteilte, dass die andere Sitznachbarin und ich einfach in einem anderen Raum nachschreiben sollten. Wenn wir nicht kommen würden, könnten wir die Klausur nicht nachschreiben. Also würden wir pauschal 00 Punkte bekommen und durchfallen.
Obwohl wir nicht im gleichen Raum gewesen wären, hätten wir uns zur Schule begeben müssen, wären auf den Gängen verschiedensten Personen begegnet und hätten uns gegenseitig anstecken können, sofern es nur ein Person gehabt hätte.
Die Person, mit der ich im Raum gesessen hätte, wurde positiv getestet. Ich hatte zum Glück nur eine Erkältung.
Also, alles noch einmal zusammengefasst: Schulstress ist ein großes Problem. Ein großer Teil der Schüler und Schülerinnen leiden unter Stress und daraus folgenden physischen und psychischen Problemen. Leistungsdruck ist ein großer Auslöser, welcher durch Noten verstärkt wird. Pausen bei hohen Belastungen gibt es weder an den Tagen, da man zulange Schule oder zu viele Hausaufgaben hat, oder wenn man krank ist, da es fast stressiger ist, alles nachzuholen, anstatt es direkt mitzumachen.
Was bedeutet das?
Das Schulsystem muss sich verändern. Schule darf Schüler:innen nicht krank machen.
Wir müssen Schüler:innen als die individuellen Menschen sehen, die sie sind. Wir müssen anerkennen, wie sie lernen und wie nicht lernen (können). Das Schulsystem muss offener für Individualität sein. Eine Individualität, auf die weder eine einzige Lehrmethode passt, noch dass sie pauschal in Zahlen wiedergeben werden kann.
Um uns Schüler:innen geht es in der Schule schließlich.
Quellen:
https://www.presseportal.de/pm/113164/3056160
https://www.lbs.de/presse/p/kinderbarometer_3/kinderbarometer~2_3042950.jsp
Die Autorin hat diesen Beitrag am 28.04.21 auch nochmal in Form eines Videoessays veröffentlicht: