Silvia Breher (CDU) machte sich Ende des letzten Jahres für sogenannte Familienzeitkonten stark. Das Wort hört sich ja erst mal gut an. Familienzeit ist unbestritten etwas Gutes. In Kombination mit „Konto“ finde ich den Begriff allerdings schon gar nicht mehr so sympathisch. Und damit komme ich auch schon zu den Punkten, die ich bei dem „Konzept“ (sofern das schon vorliegt) diskussionswürdig finde:
„Tut mir leid mein Kind, ich habe gerade keine Zeit für Dich.“
Zeit gilt es zu erarbeiten, bevor ich sie nutzen kann. Nutzen für etwas, was gesellschaftlich sowieso schon sehr wenig Anerkennung findet: Sorgearbeit. Das Kümmern um andere. Kümmern um Familienmitglieder. Bevor ich Familienzeit in Anspruch nehme, muss ich sie erst erarbeiten. Zumindest dann, wenn ich sie auch „entlohnt“ bekommen möchte. Die Entlohnung von Familienzeit im Sinne von Sorgearbeit wäre ein ganz guter Gedanke, finde ich. Denn Sorgearbeit, egal von wem geleistet, egal wann und in welchem Umfang, ist immer auch eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, die oft von denen unentgeltlich geleistet wird, die auch ansonsten „wenig verdienen“. Dann ist es für das Familieneinkommen nicht so belastend… Oft derzeit mit Nachteilen in der eigenen beruflichen Entwicklung oder persönlichen Freiheit einhergehend. Nicht zu vernachlässigen, die Auswirkungen auf Rente und der Gefahr von Altersarmut. Es gilt hier eine Form gesellschaftlicher Anerkennung zu schaffen. Sowohl in finanzieller Hinsicht wie auch in Achtung der sozialen Leistung, unabhängig davon, ob ich vorher mir hierfür die Zeit schon erarbeiten konnte, oder nicht. Niemand, die*der sich um Mitmenschen kümmert, darf deswegen in seiner beruflichen Entwicklung benachteiligt werden, oder deswegen der Gefahr von Altersarmut ausgesetzt werden. Und niemand – das als kleiner Exkurs – die*der Sorgearbeit als bezahlte Arbeit ausführt, sollte so gering dafür bezahlt werden, wie dies derzeit in Deutschland der Fall ist.
„Ich arbeite gern für meinen Konzern.“
Zurück zu Silvia Brehers Vorschlag: „Das Konto würde nach diesem Modell ein Leben lang erhalten bleiben. Egal, bei welchem Arbeitgeber ich bin, kann ich daraus dann beispielsweise Stunden wieder herausnehmen, die ich für meine Familie brauche.“ Dabei könne es um Kinderbetreuung genauso gehen wie um Zeit für die Pflege im Alter, konkretisierte Breher in der Wirtschaftswoche am 26.12.2020. Aber zu was führt das? Binde ich mich damit nicht auch an bestimmte Arbeitgeber*innen? Nämlich solche, die diese Form der Flexibilität auch ermöglichen können. Flexibilität in der Berufsbiographie wird dadurch nicht gefördert. „Arbeitgeber sollten mit ihren Mitarbeitern Rahmenvereinbarungen über eine flexible Arbeitszeit und die Modalitäten des Wechsels zwischen Phasen intensiver Arbeit und Phasen geringer Arbeitszeit schließen.“ Schlug deswegen Silvia Breher auch vor. Also hängt es doch wieder an den Bedingungen bei den einzelnen Arbeitgeber*innen…. Das scheint mir nun doch nicht so ganz flexibel. Und wie plane ich diese Zeiten des Bedarfs? Pflegebedürftige kündigen das nicht immer an. Auch Phasen flexibler Kinderbetreuungszeit, wie derzeit oft benötigt, sind schwer planbar. Also passt das Modell nur auf bestimme Arbeitgeber*innen und nur für bestimme Lebensphasen. Die planbaren. Dafür könnte es gut sein. Aber gibt es das dann nicht auch heute schon, oft als „Arbeitszeitkonten“ betitelt? Z.B. für den vorzeitigen Ruhestand oder das Sabbatjahr, was bei bestimmten Arbeitgeber*innen ja auch jetzt schon möglich ist. Der Innovationscharakter hat sich mir hier noch nicht erschlossen. Aber ich lasse mich gerne näher aufklären.
„Tut uns leid, aber alle anderen können zur Besprechung um 18 Uhr.“
Und, um noch einen kritischen Punkt anzureißen: Aus meiner Perspektive werden durch solche „Konten“ traditionelle Rollen verstärkt. Tatsache ist, dass heute wesentlich mehr Frauen in Teilzeit arbeiten als Männer*. Oft, weil sie einen größeren Anteil an Sorgearbeit in der Familie oder im Umfeld übernehmen. Hier gilt es Strukturen auszubauen, dass Teilzeit oder Auszeiten keinen „Karriereknick“ zur Folge haben. Dass Teilzeit oder eine Auszeit eine Möglichkeit zur Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung ist, aber nicht die Endstation der beruflichen Entwicklung bedeutet. Dazu gehört auch, dass flexible Arbeitszeitmodelle wie auch Kinderbetreuungsmöglichkeiten ausgebaut werden und bei „Vereinbarkeit“ Eltern und nicht Mütter adressiert werden. Und dass alle Menschen hier ihren Anteil an Verantwortung übernehmen, damit Vereinbarkeit funktioniert, als Eltern, als Arbeitgeber*innen, als Politiker*innen, als Gesellschaft usw..
„We are familiy“
Abschließen möchte ich eigentlich mit einer Selbstverständlichkeit: Wir müssen endlich den Familienbegriff neu definieren und Anerkennung dafür schaffen, dass es hier eine Vielfalt an Modellen gibt. Damit alle Familien auch die gleichen Chancen und Rechte haben.
Entwicklungsbedarfe, die ich wahrnehme:
- Anerkennung von Sorgearbeit
- Ausbau von Strukturen für flexiblere Berufsbiographien
- Ausbau der Betreuungsstrukturen für Kinder
- Flexibilisierung der Arbeitszeitmodelle
- Adressierung von Eltern beim Thema „Vereinbarkeit“
- Vereinbarkeit als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
- Anerkennung der vielfältigen Familienmodelle
*Quellen:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1098738/umfrage/anteil-der-teilzeitbeschaeftigung-in-den-eu-laendern/: Im 2. Quartal 2020 arbeiteten 46 % der Frauen und 9,9 % der Männer in Deutschland Teilzeit.
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/38796/umfrage/teilzeitquote-von-maennern-und-frauen-mit-kindern/: Im Jahr 2019 lag die Teilzeitquote von erwerbstätigen Frauen mit minderjährigen Kindern bei 66,2 Prozent. Bei erwerbstätigen Männern lag die Teilzeitquote im gleichen Jahr bei 6,4 Prozent.
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